Ein Flyer zur Marathonmesse in Wien im April und seine Folgen ein gutes halbes Jahr später. In der Euphorie vor dem 42,194 km Massenlauf in Wien wurde ich magisch angezogen von einem Laufevent mit dem Zieleinlauf in einer wunderbaren Kulisse – der berühmten Arena von Verona. Nur kurz nachgedacht melde ich mich gleich im Frühsommer an und bin da unter den ersten 700 Anmeldungen. Vom Arzt muss ich mir ein Gesundheitszeugnis ausstellen lassen. Dafür, dass ich keinem italienischen Laufclub angehöre, muss ich zusätzlich EUR 7 für die Streckenbenützung zahlen. Und natürlich noch Flug- und Hotelbuchung für 2 Personen (also ein teurer Spass), weil ohne meinen Bodo fahr ich nicht! Er ist meine mentale Stütze, vor allem am Tag vor dem Lauf, wo ich immer mit großer Angst in den nächsten Tag schaue.
Am vergangenen Freitag dann geht es am frühen Abend nach Mailand. Der Flug dauert schlappe 90 Minuten – es gibt nur einen Apfel oder eine Schokolade als kleinen Snack. Ernüchternd lang die Busfahrt vom Flughafen zur Stazione Centrale: eine gute Stunde, vorwiegend im Stau! Und dann noch die Zugsfahrt bis Verona – wir kommen knapp vor 23 Uhr im Hotel Piccolo (so klein dann auch das Zimmer) an. Ein Restaurant hat Erbarmen mit uns und wir bekommen noch schnell eine Pizza.
Am Samstagmorgen gehen wir in einem unangenehm dichten Nieselregen zielstrebig zum Stadion, da ich fest der Überzeugung bin, hier die Startnummer zu bekommen. So hieß es jedenfalls in den ersten Informationen aus dem Internet. Nichts da: wir umkreisen das Station zwei Mal, bis ich bei nochmaligem Lesen der zuletzt erhaltenen Instruktionen kapiere, dass wir zum Messegelände müssen! Oh nein! Um das Stadium herum ist gerade Markttag mit allem, was das Herz begehrt – wir kaufen einen großen Regenschirm. Im Hotel rät die Dame an der Rezeption dringend davon ab, zu Fuß zur Fiera / der Messe zu gehen, weil die Straße stark befahren ist. Wir nehmen uns ein Taxi.
Endlich: fast schon Mittagszeit, habe ich endlich das Starterpaket in meinen Händen: F94 (Bodo sieht, dass knapp 200 Frauen an den Start gehen werden). In Summe sind es ca. 1.600 Läufer.
Jetzt hält uns nichts mehr: mit einem weiteren Taxi lassen wir uns bis zur Arena führen, gehen aber nicht hinein, weil gerade die Massen anstehen, sondern beginnen eine lange Stadtbesichtigung – alles zu Fuß mit 3 kleineren Einkehrschwüngen, um auch dem leiblichen Wohl zu frönen. Spätnachmittags kommen wir ins Hotel zurück. Bodo hat einiges fotografiert (so ist das in einer Herde: da darf jeder seine Spinnereien ausleben!). Der Kopf ist müde, die Füße sind müde – ganz und gar nicht die beste Vorbereitung für den morgigen Tag, aber wenn man schon mal hier in dieser netten Stadt ist? Jedenfalls schlafen wir eine Runde, bis wir uns um 20 Uhr zum Abendessen aufmachen – und wieder im Lokal von gestern landen, denn außerhalb der Touristenmeile ist das gastronomische Angebot mehr als dürftig. Gestern Pizza, heute natürlich Pasta, damit die Kraftspeicher für morgen gefüllt sind. Das Hotelzimmer ist so klein, dass für den kleinen Trolly kaum Platz ist. Wir müssen aber für morgen noch alles logistisch durchchecken, zumal Bodo am Vormittag auschecken muss.
Ich schlafe bald tief und fest – ein paar angstvolle Gedanken begleiten mich.
Ich fahre mit dem Taxi um kurz nach 6 Uhr zum Shuttle, der die Marathonläufer zum Start aufs Land bringt. Gemein: der Bus steht wieder beim Messegelände, aber in einer Seitengasse – ich bin nicht die einzige, die etwas dumm herumsteht und auf den Bus wartet. Beim Rausfahren aus der Stadt denke ich: Das ist aber weit – und mir wird wieder bang ums Herz. Wir werden in Val d´Ambrogio rausgelassen und in eine leere Halle geschickt, wo man gegen Einwurf von Münzen was zum Essen / Trinken bekommt. Ich genehmige mir noch eine Banane, weil ich fürchte, dass das kleine Honigweckerl, das ich gestern vom Frühstück mitgenommen habe, nicht allzu lange Energie liefern wird. Beim Anstellen in der langen Kolonne vor den Stehklos (!) lausche ich österreichischen Tönen: vor mir zwei Frauen, die die 30km laufen werden und sich wundern, dass ich ganz alleine laufe. Sie bestätigen mir aber, dass die Veranstalter die Streckenführung und auch den Ausgabepaket für die Starterpakete geändert haben – also habe ich mir das mit dem Stadion doch nicht aus dem Finger gesaugt! Im Startsektor kämpfe ich dann mit meiner musikalischen Begleitung: da ich immer Radio höre, habe ich keine Playlist. Ich habe zwar gestern einen passenden Sender gefunden, aber ich höre plötzlich nichts mehr! … Heute früh bin ich dann draufgekommen, warum: ich habe irrtümlicherweise auf „Pause“ gedrückt! Knapp vor dem Start muss ich mich damit abfinden, ohne Hintergrundablenkung einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zum Glück gerate ich deswegen nicht in Panik. (Die Italiener laufen alle ohne Stöpsel in den Ohren.)
08:45: es geht los! Inmitten von Männern laufe ich anfangs recht schnell, lasse sogar die 3:30 Pacer hinter mir und genieße die Landschaft: nebelverhangene Hügel mit Kirchen, Wolken am Himmel, aber trocken und angenehme Temperaturen. Ab km 3 spüre ich den ersten Schweiß. Habe ich vor einer knappen halben Stunde noch gefroren, bin ich jetzt froh, die Armstulpen schon vor dem Start weggeben zu haben (eine nette Italienerin, die ich auch wegen eines anderen Radiosenders befragt habe, hat mir beim Verstauen geholfen – ich habe ja meinen Trinkrucksack dabei – ich sehe unterwegs nur einen einzigen anderen Läufer, der auch einen trägt). Unser Weg geht durch Weingärten hindurch, durch kleine Dörfer. Die Zuschauermenge hält sich mehr als in Grenzen, nur ab und dann stehen ein paar Neugierige am Rand. Die Italiener quatschen sogar während des Laufens (hören wohl daher keine Musik). Bis knapp nach der halben Marathonstrecke geht es mir eigentlich phantastisch, ich nehme die Steigungen, die da ab und dann kommen, meisterlich und entspanne beim Abwärtslaufen. Dann aber so bei km 22 dürfte ich mich bei einer weiteren Steigung ziemlich verausgabt haben, weil ab da merke ich, wie mir die Kraft langsam ausgeht. Ich halte brav bei jeder Labestation, um zu trinken. Ab km 15 nehme ich auch meine Gels. Und zeitweise falle ich auch wieder in mein Wettkampftempo. Wir nähern uns der Stadt. Plötzlich ein Pulk von anderen Läufern – und bei km 27 werde ich von den 3:30 Pacern überholt. Ich schaffe es nicht mehr, mit ihnen mitzuhalten – grrrrr! Bei km 30 denke ich kurz daran: du könntest jetzt hier doch aufhören, aber das andere Ich meint: du willst doch in die Arena einlaufen, also halte durch; es sind nur noch 12 km oder anders ausgedrückt: nur noch eine knappe Stunde! Bei km 37 sehe ich dann endlich Bodo, der mitten auf der Straße steht und die Läufer fotografiert. Ich versuche eine nette Pose, aber ich dürfte gerade da gelächelt haben, wo Bodo nicht abgedrückt hat. Es beginnt zu tröpfeln und gleich darauf – ich sehe Bodo ein weiteres Mal – er feuert mich an, mahnt mich zum Trinken – regnet es mehr und mehr. Vor mir nur wenige Läufer, alle schon etwas schlapp. Da bekommt das Laufen über das nasse Kopfsteinpflaster eine neue Bedeutung. Die Zielgerade kommt endlich näher. Es schüttet jetzt! 300 m vor dem Ziel nochmal Bodo – und ich hole meine letzten Reserven hervor. Über eine lange Rampe geht es hinein in den beeindruckenden Bau. Jetzt habe ich aber nur die Ziellinie vor Augen – noch einmal Gas geben, die Arme hochstrecken – und: geschafft!!!! In 3:34:02 (ich bin gesamt auf Platz 359 gekommen, die 20. unter den Frauen!) … alle Ergebnisse unter: http://www.veronamarathon.it/en/
Der Regen ist ein Wahnsinn! Bodo hat es nicht in die Arena geschafft, er wurde nicht durchgelassen. Wir finden uns über das Handy. Bodo eingehüllt in die Regenjacke, das Fotoequipment einigermaßen geschützt, umarmen wir uns. Unter einer Arkade wechsle ich dann notdürftig mein Gewand: ich bin durch und durch klitschnass. Da wir kein Zimmer mehr haben, kann ich am WC nur eine kleine Katzenwäsche machen und mich gewandmäßig adjustieren, aber für die Zurückreise muss das genügen. Ich bin erschöpft, aber halbwegs zufrieden mit meiner Leistung. Ich weiß, wenn ich anders trainieren würde, könnte ich die 3:30 erreichen, aber meistens ist es so, dass ich laufe, um den Kopf frei zu bekommen. Da wäre das sogenannten Fahrtenspiel eher hinderlich. Nun ja: jetzt dann vielleicht. So gleich nach einem Marathon bin ich zwar nicht so erpicht darauf, mich wieder dieser Challenge zu stellen, aber ich weiß: spätestens in ein paar Tagen denke ich an den nächsten Marathon: Amsterdam, Berlin würden mich reizen …. Nachdem es noch immer regnet, fahren wir zum letzten Mal mit dem Taxi zum Bahnhof, kaufen in Turbogeschwindigkeit am Automaten die Tickets und erwischen gerade noch den Zug. Es ist 14:32. Daheim sind wir dann um 23 Uhr. Ganz schön umfangreicher Reiseaufwand für ein bisschen Italien und ein bisschen Laufevent. Nochmal würde ich das so nicht machen wollen. Daher Amsterdam oder Berlin: da fliegt man direkt hin. Oder Salzburg Anfang Mai 2014? Wieder so ein verführerischer Flyer, der Lust auf 42,194 km macht!