Der Auftragsshopper

Einmal im Jahr, darf ich – darf ich ins Outlet in der Nähe vom Neusiedlersee angesiedelt. Einmal deshalb, weil mein „Bodyguard“ nur einmal im Jahr die Geduld aufbringt, mich an den Tatort „bis -70%“ zu begleiten. Dafür suche ich mir meistens ein sehr passendes Datum aus. Nein, nicht das Late-Night-Shopping-Date, da hier schon um 9 in der Früh alle Lichter ausgehen und die Bankomat-/Kreditkarten zu schwitzen beginnen. Nein, ich habe dieses Mal einen Freitag ausgewählt, DEN Freitag, besser gesagt: zum Monatsbeginn, zwischen den Weihnachts-/Neujahrsfeiertagen und zur Winter-Sale-Saison  – Yippieh! Wir fahren gegen 14 Uhr beim Gewerbepark Parndorf ab und erkennen schon von weitem, dass es spannend werden wird, weil dieser spezielle Freitag auch viele andere aus nah und fern und jenseits der Grenzen hierher gelockt hat. Bodo verdreht die Augen. Mir wird heiß im Gesicht, weil ab jetzt heißt es aufpassen, im Seniorenschritttempo fahren, sich in Geduld üben und die Augen offen halten, um eine Parklücke zu ergattern. Es tun sich kriminalistische Szenarien auf, Menschenkarawanen, die unkontrolliert zwischen den Autos hervoreilen, aufgeregte Gesichter, wenn das eigene Auto von anderen zugeparkt wurde und der Abschleppdienst eigentlich keine Chance hat, durchzukommen, um den Übeltäter zu bestrafen. Ich bin daher mehr als überrascht und halte es für einen Scherz, als ich plötzlich eine freie Parklücke entdecke, in die ich den Smart sehr schnell hineinmanövriere. Ich bin echt perplex, noch dazu, weil wir relativ zentral vor und zwischen den Schnäppchen-Fallen parken – regulär und ohne Gefahr des Zugeparktwerdens.

Los geht´s – im Uhrzeigersinn. Nach den ersten paar Metern bereue ich bereits, den „Darf-Bonus“ heute abgerufen zu haben. Frauen, Männer, Kinder und leider auch Hunde schieben sich durch die Arkaden dieses Centers oder werden geschoben. Zahlreiche der Markenshops interessieren mich gar nicht. Bodo folgt entgeistert meinen Schritten. Mein Angebot, zwischenzeitlich zum Fotografieren an den See zu fahren, ignoriert er aber – er ist schon ein kleiner, lieber und neugieriger Masochist! Vor Boss und Ralph Lauren stehen Menschenschlangen an. Die Jungs von der Security bestimmen, wann wieder wie viele mögliche Kunden ins Kaufparadies eingelassen werden. – Irgendwie komplett verrückt. Also nix mit Boss, dafür dann Diesel, wo ich endlich und komplett unverhofft einen schlichten, aber kleidsamen schwarzen BH finde (gestern habe ich leider im Radio gehört, dass Diesel zu den ausbeuterischen Arbeitgebern gehört, die zu geizig sind, den Näherinnen ein bisschen mehr Lohn zu bezahlen. Das heißt, dass ich ab sofort Diesel sein lassen werden muss ;-(). Beim Prada-Outlet ist nichts los, aber ich muss auch sagen, dass ich hier nichts gefunden hätte, was ich in meinem Kleiderschrank unterbringen hätte wollen. Auch beim Karli Lagerfeld sind die Beute-Bags interessanter als die Shirts in XL (denn andere Größen gibt es hier nicht – eigentlich eigenartig, wo Karli doch nur für magersüchtige Bohnenstangen schneidert?). Absolut geil, aber leider auch nicht in meiner Größe erhältlich, wären die Gummistiefel angehauchten Boots mit Holz-Klotz-Absatz und Lederschaft von Cubanas gewesen, weil absolut gut runtergesetzt. Nein! Hände weg von Größe 40 – da passen deine Füße nicht hinein! Schmollend verlasse ich d´Ambrosio.

Als die erste Glut ein wenig abgeflaut ist, und sich Bodo vom Schock erholt hat, dass auch die ärmellose Outdoor-Stepp-Weste von Superdry in XXL (!) zu schmal um die Brust geschnitten ist (Superdry schneidert wohl nur für androgyne Japan-Boys), richte ich meine Augen auch auf all die anderen Kauflustigen – bei einigen mag die Lust wahrlich schon vergangen sein – kein Wunder: anhand der Autokennzeichen ist anzunehmen, dass viele schon seit den frühen Morgenstunden auf sind, eine lange Fahrt hinter sich haben und jetzt am Nachmittag gerechterweise erste und üppige Erschöpfungserscheinungen haben. Im gesamten Outlet gibt es unserer Meinung nach auch viel zu wenig Gastronomie und Plätze, um sich ein bisschen zu erholen. Aber wahrscheinlich ist das auch so gewollt: Groß-Kampf-Shopping ist angesagt – Erholung gibt es erst, wenn der Kofferraum voll und die Kreditkarte überzogen ist! Es dürften auch Auftrags-Shopper unterwegs sein, die für eine bestimmte Kundschaft einkaufen. Einen Mann sehe ich zum Beispiel, der an die 10 Säcke von Boss neben sich stehen hat. Zum einen dürfte er einer der Glücklichen gewesen sein, die von der Security reingelassen wurden und andererseits dürfte er wahllos oder gezielt (?) fündig geworden sein. Handelt es sich hier um einen Kaufagenten, der in seiner Heimat die Sachen weiter verhökert? Ähnlich wie bei willhabenat oder am Flohmarkt: auch dort treiben sich ja die Schnäppchen-Jäger herum, die gierig sind auf alles, was sie selbst dann mit Gewinn weiter verkaufen. Ist das legal?

Als wir am späteren Nachmittag vor Boss nur mehr eine kleine Schlange vorfinden und bereits nach wenigen Minuten des Wartens auch eingelassen werden, frage ich mich allerdings, womit dieser Auftrags-Shopper  fündig geworden ist. In der Damenabteilung gibt es rein nichts, was meine Augen zum Leuchten und meinen Herzschlag zum Pulsieren bringt. Bei den Herren sieht es schon ein wenig anders aus, denn wenn man einen halbwegs schicken Anzug braucht, ist man(n) hier sicher gut & günstig bedient. Bodo hat hier allerdings auch wieder Pech, denn die wirklich schicken Jacketts sind nicht in seiner Größe verfügbar. Und die tweedige Winterjacke bei Strellson eignet sich nur für sibirische Minusgrade, aber nicht für unser derzeitiges hochgradiges Plus-Wetter. Rein durch Zufall mache ich noch einen Sprung zu Calvin Klein, eine Marke, die mich eigentlich bislang kalt gelassen hat. Aber wahrscheinlich bin ich vom vielen Schauen und Schlendern schon so mürbe in der Birne, dass ich mich in dem kleinen, schmalen Shop umschaue. Und siehe da – das Schnuppern führt zur Beute! Der graumelierte locker geschnittene Wintermantel ist zwar eindeutig mehrere Nummern zu groß (würde vielleicht Bodo passen?), aber dann entdecke ich ein Modell ärmelloses Strickkleid, hinten glatt, vorne gerippt. Das Erstaunliche ist, dass es wie angegossen sitzt und meine vorhandenen Kurven elegant zur Geltung bringt. Die Qual der Wahl aber: das Kupferrot-Orange oder das Dunkel-Schwarze? Oder beide gar? Ich werde schwach, denn das Preisschild gaukelt mir gekonnt vor: Mädel, das sind richtige Schnäppchen! Der Retail-Preis jenseits von Gut und Böse. Der Outlet-Preis auch noch üppig. Aber wenn davon dann auch nochmal die Hälfte abgezogen wird, zuckt es in den Fingern und ich sage Ja zu beiden: das Rot-Orange fällt genau in meine persönliche Farbpalette und wenn Schwarz eine gute Figur macht, ist es vielseitig einsetzbar. Die Shopping-Bags von Calvin Klein sind anonym weiß ohne Beschriftung.

Es ist mittlerweile dunkel geworden. Die Kaufwut rundherum ist einer gewissen Ruhe gewichen. Jetzt sind anscheinend nur mehr die Experten unterwegs, die wissen, dass es abends nicht mehr so überfüllt ist – gut zu merken, aber andererseits sind zu späterer Stunde vielleicht die guten Stücke schon weg?

Was habe ich vielleicht verpasst, was mir so gar nicht abgeht? Würde ich mich als Auftragsshopper eignen? Dabei meine ich jetzt nicht den „gewerblichen Jäger“ sondern jemand, der für Familie und Freunde was besorgen soll, frei nach dem Motto: meine Schwester braucht ein Business-Kostümchen. Absolut nein, denn ich bin der festen Überzeugung, dass man anprobieren, vor dem Spiegel posieren, die Arme heben und die Beine beugen muss, um bewerten zu können, es passt oder es passt nicht. Vor allem, wenn man nicht umtauschen kann. Das ist ja das große Risiko bei Sale und Outlet: vom Umtausch ausgeschlossen! Entweder du bist ehrlich zu dir selbst oder du bist der Dumme und hast wieder einmal Lehrgeld bezahlt.

Meine Wahl war jedenfalls kritisch und gut – und hat auch den Beifall meines „Bodyguards“ erhalten . Die beiden Strickkleider haben die erste Bewährungsprobe bereits erfolgreich absolviert. Für den ganz persönlichen Stil – und damit es nicht zu seriös und klassisch wirkt (denn das bin ich nun mal nicht), habe ich gestern noch bunte und gemusterte Strümpfe besorgt (auch im Sale nebstbei bemerkt) und werde mit meinem vorhandenen Schuhwerk entsprechend experimentieren, damit jeder weiß: das ist die Lucia!