Bodo ist seit Freitag Member in der Stadtbücherei und kann sich nun elektronische Literatur auf Zeit herunterladen. Seine erste Tat – wie er meint, nur mir zuliebe, da ich – in der Fastenzeit ruht der Fernseher – zu den Schnell-Leserinnen gehöre, weshalb der Lesestoff rasch zum Schwinden gebracht wird, wie Schnee in der warmen Frühlingssonne dahin schmilzt – war der Buchtitel „Alle meine Schuhe“ von Lucy Hepburn. In dem Buch geht es um eine junge Frau, deren größte Leidenschaft – na was wohl? – Schuhe sind. Sie besitzt 34 Paar, Designerschnäppchen, was in London anscheinend möglich ist. 34 Paar in einem begehbaren Schrank dünken mir jetzt nicht so viel (nun ja, die Heldin des Buches ist noch keine 25), denn ich komme – wenn Bodo und mein Vater mich zum Aufzählen zwingen (da sind sich die beiden sonst grundverschiedenen Typen absolut einig!) – so übers Jahr gesehen und mit meinen Lauf- und Wander- und Fitness-Schuhen auf etwas mehr als 50 (?) Paar … die Jeffrey Campbells müssen übrigens doch leider wieder retour, da aufgrund einer hohen scharfen Kante lautbrüllende Blasen- und Hautabschürfungsgefahr 🙁 …
Aber zurück zum Buch: Ihr Freund glaubt zu Anfang des Buches, dass sie eine Affäre mit einem älteren Mann hat und verscherbelt alle (!) ihre Schuhe über ebay – Wahnsinn! Das ist ein Akt der Rache, mehr als abscheulich und hinterfotzig, wenn ich so derb meine innere Unruhe ausdrücken darf. Ich habe mir jetzt natürlich erwartet, dass die junge Lady um ihre Herzstückerln, die ihre kleine Gestalt größer und selbstbewusster erscheinen lassen, kämpfen wird wie eine Löwin um ihre Jungen. Und so ist es – fast. Sie macht sich tatsächlich auf den Weg zu den neuen Besitzerinnen, die über England, Irland verstreut sind. Aber einige Paar Schuhe sind auch über den großen Teich geflogen und lungern nun in der Nähe von New York und Miami herum. Aber die anfangs als Humoreske empfundene Story bekommt Tiefgang in der Handlung, wenngleich prosaisch nicht formvollendet textiert. Die Suche nach den Schuhen entwickelt sich zum Weg der Selbstfindung. Die Schuhe an sich, die bei zwei zänkischen Schwestern mit Übergröße landen, bei einer hochschwangeren Mutter, deren geschwollene Füße nur mehr in FlipFlops passen oder bei einer Toten, die seit ihrer Jugend im Rollstuhl sitzen musste und schlussendlich bei einer Künstlerin, die nur die Absätze der kostbaren Stilettos brauchen kann, werden zur Nebensache. Es sind diese fremden Menschen, die zu Freunden werden, es ist eine Botschaft in den alten Ballettschuhen der verstorbenen Mutter, die der jungen Frau den leiblichen Vater offenbart und eine neue Familie schenkt. Und natürlich wird dem Romance-Faktor – der muss in einem Frauenbuch halt sein – brav Rechnung getragen: gut aussehend, muskulös, groß, attraktiv, aufmerksam, gutmütig, geduldig, …
289 Seiten, 5 Stunden leichte Lesekost.
Und trotzdem verfolgt mich ein Gedanke: es braucht manchmal ein Schockerlebnis, dass man aufwacht, dass man aus einer neu erwachten und noch nicht gekannten Energie heraus einen neuen Weg beschreitet, einen Weg, zwar mit festgelegten Zielen, aber doch ein Weg ins Ungewisse. Jedes Mal, wenn die junge Frau bei einem fremden Haus anläutet, weiß sie nicht, was und wer ihr da begegnen wird, wenn sie erst einmal über die Türschwelle gebeten wird. Ist es nicht absurd, einer Mutter, die in ein paar Wochen ihre Niederkunft hat und die sich aufgrund der allumfassenden Volumen-Zunahme nicht mehr als Frau fühlt, das Paar Leinenpatschen wegzunehmen? Ist es nicht absurd, einer Toten, die einmal in ihrem Leben (und wenn es das Leben nach dem Leben bedeutet), Schuhe von Dior von den kalt gewordenen Füßen zu ziehen? Schnäppchen hin – Erinnerungen her, was zählt, ist der Mensch. Schuhe sind zwar sehr nett und für Frauen lebensnotwendig – auch wenn sie mit schmerzender Ferse und einer wehmütigen Träne im Auge wieder zurück geschickt werden müssen (ich habe auf den 200 Metern, die ich mit den klobigen Schnürschuhen heute zu gehen versuchte, wirklich gelitten und die Zähne zusammenbeißen müssen – und ich bin wahrlich nicht wehleidig, bin ich doch zum Beispiel bei unserer Wanderung durch Österreich tagelang mit einer offenen Blase herumgestiefelt, ohne zu jammern) -, aber eben doch nicht alles – und vor allem ersetzbar, wenngleich die Erinnerung an ein Paar Stilettos, Sneakers, Boots – what ever – dann eine andere sein wird.
Menschen, Freunde, Familie sind aber nicht ersetzbar. Jeder entwickelt sich weiter, die unsichtbaren Verbindungen werden mal lockerer, mal enger, mal ganz lose. Manche verschwinden, neue kommen dazu.
Aber es ist der Mitmensch, der uns zum Menschen macht!