Go Gatsch or go home! So lautete die Devise beim Wildsau-Dirt-Run im Wiener Schwarzenbergpark an einem frühsommerlichen Tag, der eigentlich mehr die Tendenz zum Sonnenbad als zum Gatschbad hatte – aber nein: ich musste es wissen – musste einmal die kleine Wildsau in mir raus lassen!
Wie kommt ein Mensch, den Arbeitskollegen als etepetete bezeichnen und immer gestylt antreffen, dazu, sich absichtlich dreckig zu machen und dazu das lausigste G´wand anzuziehen, das sich in der dunkelsten Kleiderschrankecke finden lässt?
Im Kopf etwas marathonmüde, in den Gelenken aber actionsuchend – in diesem Zustand befand ich mich, als mich ein Fitnesstrainer auf den Run aufmerksam machte. Im ersten Moment skeptisch, habe ich mich dann doch auf www.wild-sau.com eingeloggt und sofort Feuer gefangen: das klingt ja nach einem geilen Event! Und wenn schon, denn schon: gleich die längste Distanz als Challenge, denn für eine „Marathonna“ sind 20 Kilometer doch ein Klacks – oder?
Wie bereite ich mich auf diesen Run vor? Regelmäßiges Laufen sowieso, ab und zu gespickt mit verwilderten Waldwegen und umgestürzten Baumstämmen, sofern im Prater vorhanden, um nebst Laufen auch ein wenig mehr Naturkontakt zu erfahren. Liegestütze kein Problem, bei Klimmzügen bin ich eine absolute Null!
Was ziehe ich für diesen Run an, ohne in die Kategorie Kostümierung zu fallen? In der Annahme, dass ich nach dem Lauf aufgrund heftiger „Gebrauchsspuren“ eh alles der Mülltonne anvertrauen werde müssen, fiel die Wahl auf Camouflage-Leggings von adidas, ein bereits löchriges und kaum bis gar nie getragenes Sportshirt von Falke, farblich schon mehr als vergilbte Laufsocken und das Paar Laufschuhe, das mich zwar durch den letzten Marathon begleitet hat, das aber schon zweimal geflickt wurde, weil sich die eine große Zehe im Durchbohren versucht hat. Um die Hände zu schützen habe ich mir dann noch dünne Bauhandwerkerhandschuhe besorgt, die sich dann allerdings nur als teilweise optimal herausgestellt haben.
Ein paar Tage vor dem Start lese ich in einem kleinen Nebensatz: für ungeübte Dirt-Runner wird die 5km-Runde empfohlen – na servas! Da kommt erstmals Angst auf, vermehrt durch ein paar Videos, die ich mir dann noch anschaue – wurscht!
Wir sind um 10 Uhr da. Die Startnummer wird mit dem Edding auf die Hand geschrieben, der Chip ist in einem dicken Band verborgen, das Band wird mit breitem Klebeband um den Knöchel fixiert. Die Moderation ist ein wenig lahm, keine anfeuernde Musik, alle Teilnehmer warten, liegen in der Sonne oder trinken schon das erste Bier (?). Dann der Aufruf für die 20-Kilometer-Starter/innen: nicht ganz 10 Frauen und etwas mehr als doppelt so viele Männer, viele Frischlinge wie ich. Wir werden bzgl. der 37 Hindernisse pro Runde unterwiesen. Nach der dritten Hindernis-Beschreibung steigen alle bereits aus. Unbedingt zu merken ist aber: rechte Schulter = grünes Markierungsband / linke Schulter = rotes Markierungsband am Weg. Ich schreibe mir das sicherheitshalber mit Kugelschreiber auf den Unterarm. Den gut gemeinten Rat, nicht zu ehrgeizig zu sein und lieber aufzuhören als sich zu verletzen, nehmen dann alle wieder wahr – vor allem, als uns eröffnet wird, dass die 20 km eigentlich 28 sind (!) und das 4 Runden zu laufen sind – mit jeder Runde steigt der Grad der Verletzungsgefahr. Außerdem gibt es ein Zeitlimit, um überhaupt die 4.Runde beginnen zu dürfen. Mit all dem im Kopf und zudem das Wissen, dass eine Verletzung zwei Wochen vor dem Wandern nicht so klug wäre, starte ich mit den ersten Säuen und Keilern – und so sah der Parcours in etwa aus:
- unter einem Baustellengitter über Wiesengrund durchrobben
- vom Gartenschlauch nassgespritzt werden
- durch unter Strom stehende abgehängte Bänder laufen
- über ein Feuer springen
- im Bach unter einem Verbau durchkriechen
- durch mit Schlamm und Brachwasser gefüllte Tunnelröhren steigen, kriechen, robben
- sich über eine glitschige und glatte Staumauer hinauf- und hinunter hanteln
- im Nassen unter Baustellengitter durchrobben
- eine schiefe, eingeölte Ebene rauflaufen
- durch einen Reifen klettern und eine steile Rutsche hinunterflutschen
- mit einem Holzscheit eine Runde laufen
- sich über herunterhängende Schlaufen weiterziehen
- durch ein am Boden gespanntes Netz laufen
- auf einen querliegenden Baumstamm in luftige Höhe hinaufklettern und diesen übersteigen & runterspringen
- auf einer Slackline über einen Teich balancieren
- in Müllcontainer hineinklettern und über Baumstämme zum zweiten Container gelangen
- über und durch Autoreifen steigen
- über eingerammte Baumpfosten tänzeln
- über eine weitere, recht hohe Mauer steigen
- einen 100m-Sprint hinlegen
- und einiges mehr kombiniert mit einem längeren Bergauf-Run und einem steilen Bergab-Run
In der ersten Runde war ich irgendwie teilweise ganz allein – fast einsam und an manchen Stellen hilflos! Das Elektroschockhindernis passiere ich insofern ohne Schock, weil ich mich am Rand halte und der plötzliche Wind die Bänder wie mit Zauberhand zur Seite weht. Die Feuer-Flamme nehme ich auch wieder eher seitlich, denn den Geruch nach verbranntem Gummi und verbrannter Haut mag ich nicht! Unter einem Hindernis durchzukriechen ist für mich kein wirkliches Hindernis, das kann ich ganz gut. Dann das erste Mal Schuhe nass, Hände nass und die Staumauer! Kein Mann, keine helfende, starke Hand weit und breit – Verzweiflung pur, als ich bei den ersten Versuchen abrutsche und die Handschuhe verfluche, weil die mir keinerlei Unterstützung sind! Ich weiß nicht mehr, wie ich da dann wirklich drüber gekommen bin! Völlig verwirrt tripple ich dann irrtümlich über den nächsten Baustellenzaun als mich stattdessen richtigerweise unter dem Gitter im Wasserlauf durchzuschlängeln. Das Bodennetz meistere ich als eingerollter Kokon mit eingezogenem Kopf ganz gut. Zwischendurch die Beine zum Laufen zu animieren, ist echt hart. Mein Puls trommelt in einem mächtigen Crescendo und mahnt zum Gehen, um einer Explosion zu entgehen. Dann plötzlich keine eindeutige Wegmarkierung mehr – wo bleiben nur alle anderen? Endlich trotten die beiden Rambo-Typen heran, die im Startbereich nur herumgenörgelt haben und dem treu bleiben. Aber das ist mir jetzt egal, Hauptsache: Mitstreiter und vielleicht die eine oder andere helfende Hand! Ach ja, es geht weiter in der Hitze einen Schotterweg hinauf. Dort wartet dann der Holzscheit – dumm bin ich nicht: ich nehme nur ein leichtes Stück Holz – und bin jetzt froh, die Handschuhe zu tragen, denn das Holz verliert doch gerne den einen oder anderen Speil/Spieß! Und weiter hinauf. Keiner läuft mehr, alle gehen. Bei der Labstelle am höchsten Punkt wieder so ein Baumstamm, der in unerreichbarer Höhe quer gelegt worden ist – bitte liebe Veranstalter: denkt daran, dass auch Frauen mitmachen und nicht jeder 1,90 m groß ist? Ich wähle den Weg unter dem Baumstamm hindurch. Man muss nicht jedes Hindernis bezwingen – so streng sind sie hier nicht. Schnell ein Becher Wasser, ein Becher Isostar und weiter geht´s bergab im Düseschritt. Trotzdem ist Vorsicht angesagt, denn Steine und Wurzeln können leicht zum ärgsten Feind werden! Im Tal folgen dann die letzten Hindernisse, die mich wieder ein wenig aufbauen, weil der Körper ein bisschen zur Ruhe kommen konnte. Allerdings gerate ich in leichte Rage, als ich aus dem ersten Müllcontainer hinaussteige – hier gibt es in der Wand leichte Tritte, an denen ich mich alleine hochziehen kann – und dann über eine Länge von ca. 3 Meter in 3 Meter Höhe – über raue Baumstämme drüber muss. Unter mir nur Beton – Hallo! wo bleiben die Fallschutzmatten?! Ich setze mich etwas ungeschickt und blöde in eine Grätsche und versuche so, voranzukommen – Autsch! Das tut weh und verpasst mir einen riesigen blauen Fleck und zerkratzte Waden! Ich bin froh, als ich da durch bin. Die restlichen Hindernisse mit Slackline sind dann beinahe easy. Ein Golden Retriever beobachtet jede Wildsau, die durch einen weiteren, gut mit Gatsch gefüllten Tunnel robbt und ebensolche Schlammspuren aufweist wie er selbst. Beim vorletzten Hindernis muss ich kapitulieren: eine mehr als 3 Meter hohe Blechwand, zum Rauf- und Runterklettern nur Taue mit Schlaufen – ich kann das einfach nicht! Hänge da wie ein elend-nasser Sack – und quäle mich nicht länger! Meine beiden Spontan-Begleiter denken auch nicht daran, mir zu helfen. Der Sprint auf der Laufbahn ist vergleichsweise entspannend – ich meine auch, dass ich es bei der ersten Runde belassen werde. Aber die beiden Mannsbilder warten dann nett und animieren mich zu einer weiteren Runde – die beiden wollen dann sowieso aufhören (der Mega-Nörgler wäre eh nur 10 km – also 15 km – gelaufen, und seinem Freund, der eigentlich auch die gesamte Tour hätte machen wollen, ist es zu anstrengend geworden). Also gut! Durchbeißen – jetzt weiß man ja, was einen erwartet!
Ob die zweite Runde leichter oder schwieriger zu bewältigen ist, kann ich eigentlich nicht sagen. Man fühlt sich ein bisschen sicherer, weil nichts Unvorhergesehenes mehr kommt oder kommen sollte. Allerdings sehe ich jetzt, was ich zum Beispiel im Bachlauf mit den Baustellengittern hätte machen sollen. Aber nachdem es sich dort mittlerweile staut, weil die 5- und 10-km-Starter am Werkeln sind, und meine beiden Begleiter-auf-Zeit-ohne-Namen weiter drängeln, lasse ich das spannende Hindernis schweren Herzens aus, um nicht den Anschluss zu verlieren. So geht es auch bei ein paar anderen Hindernissen, denn die Zahl der Wartenden ist bei Rutsche und Kletterwänden zum Teil sehr hoch. Manchmal lassen die „Ein-Rundler“ den „Mehr-Rundlern“ ehrfürchtig den Vortritt. Auf der Slackline turnen teilweise anstelle von 3 Personen 8 herum, das Seil hängt schon mächtig durch. Bei der zweiten Runde entdecke ich dann aber noch mindestens ein (unüberwindbares) Hindernis, das mir bei der ersten Runde wegen der irreführenden Markierung gar nicht über den Weg gelaufen ist.
Als ich den zweiten Sprint hinter mich gebracht habe, bin ich froh und traurig zugleich – froh, nach fast 2:30 Stunden (!) und 15 Kilometern das (Zwischen-)Ziel erreicht zu haben – traurig und enttäuscht, dass ich nicht den Mumm hatte, alleine eine weitere Runde zu absolvieren. Ich bin zwar beim Sport eher der Einzelgänger, aber bei Durchsicht der Ergebnisse ist mir klar geworden: Viribus unitis – mit vereinten Kräften kommt man beim Wildsua-Lauf leichter ins Ziel! Allerdings war es beim zweitem Mal schon dermaßen rutschig an manchen Stellen, dass ich mich so und so der Vorsicht zu beugen hatte – wie gesagt: keine Dummheiten vor einer über 700 km langen Wanderstrecke!
Medaille gab es trotzdem eine! Und stolz bin ich, dass ich Muskeln spüre, die mich sonst eher in Ruhe lassen!
Bis auf die Socken habe ich alles der Waschmaschine anvertrauen können.
Eine neue Erfahrung und auf jeden Fall: gestern war nicht aller Tage – ich lauf wieder mit! Keine Frage! Wir hören uns diesbezüglich im Herbst wieder!
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