Wehmut im Rucksack

Der Mai 2020 ist knapp davor, dem Juni Platz zu machen – und ich blicke gerade mit ein bisschen Wehmut auf den Kalender, denn „normalerweise“ wären wir seit vergangenem Freitag wieder mit unseren großen Rucksäcken unterwegs.

„Normalerweise“ gibt es aber seit etlichen Wochen nicht mehr, auch wenn in der heutigen Pressekonferenz lang und breit von der nächsten Phase der Lockerung gesprochen wurde!

Für uns heißt es für dieses Jahr: keine Weitwanderung und damit keine müden & schmerzenden Füße, kein Falsch-Abbiegen, kein erwartungsvolles Ankommen, keine erzählenswerten Erlebnisse, keine bildbandfüllende Fotoserie – kein Wander-Tagebuch 2020!

Einerseits Wehmut, andererseits aber die tröstende Erkenntnis, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt, vor allem dann, wenn es Personen im näheren Umfeld gibt, für die man jetzt einfach persönlich da sein sollte, nicht nur schriftlich und telefonisch, sondern auch persönlich! Momente mit geliebten Personen gemeinsam zu verbringen / zu erleben, sind kostbare Geschenke, die man dankbar annehmen sollte.

Und außerdem: Der für heuer geplante Wanderweg läuft uns nicht davon!

Halbmarathon virtuell

2020 wird es so gut wie keine Volksläufe geben – die Wien Marathon konnte nicht stattfinden, und auch der für den Herbst 2020 erhoffte Österreichische Frauenlauf wurde gestern offiziell zu Grabe getragen. Auch international wagt sich heuer keiner an ein Event dieser Größenordnung!

Laufen kann man aber doch auch sehr gut alleine – keine Frage, aber so mancher Läufer / so manche Läuferin braucht dann doch den Nervenkitzel, den ein Wettbewerb unweigerlich mit sich bringt.

Not macht im wahrsten Sinne und tatsächlich erfinderisch: Österreich läuft / walkt / geht – gemeinsam – einsam – einfach VIRTUELL!

Freie Zeiteinteilung an den Tagen 15. bis 17. Mai.

Freie Streckeneinteilung, nur ehrliche 5 km, 10 km, 15 km oder 21,1 km sollen es sein!

Geringe Startgebühr, je nachdem, ob man auf Startnummer, Medaille, Urkunde und Goodiebag steht.

Ihr dürft dreimal raten, wer unter den knapp 3.200 Läufer*innen österreichweit auch dabei war … natürlich: ICH!
Und für welche Strecke habe ich mich entschieden? … natürlich: die Halbmarathon-Distanz!

Am Freitag gab es morgens leider so viel Regen, dass ich meinen „Start“ auf Samstag früh verschieben musste. Um 04:50 war ich bereits putzmunter und mega-motiviert. Am Vortag hatte ich mich noch für den Prater als „Laufplatz“ entschieden – zum einen, weil der Prater einfach prädestiniert ist für Langstreckenläufe, zum anderen, weil´s dort einfach natürlicher ist als am Donaukanal entlang. Zur Feier des Tages habe ich mir dann noch eine Lauf-App heruntergeladen bzw. auf meiner Laufuhr, die Zeit- und Streckenmessung aktiviert – Dinge, die ich sonst nie benutze, weil ich einfach laufe, weil ich laufen will und dazu weder motivierende Computerstimmen noch sklavisches Erreichen von Einzel-Zielen brauche!

Auf los ging´s los – in einem normalen, gemütlichen Trab, keine Wettbewerbsgeschwindigkeit, dafür vollkommene mentale Gelassenheit, auch dann noch, als ich die Prater Hauptallee das zweite Mal in voller Länge lief. Kaum andere Läufer*innen um diese Uhrzeit, und wenn ja, nur verstreut – der Prater gehörte de facto mir allein! Die Morgenluft frisch und rein, der Durst gering, von Schwächeeinbruch keine Rede – bis zum Schluss! Herrlich!

Die Endzeit natürlich deutlich entfernt von meinen bisherigen Wettbewerbsergebnissen – was soll´s!-, dafür waren es ein paar Kilometer mehr als die geforderten 21,1 km. Ich brauche keine Urkunde, keine Medaille – virtuell ein Teil vom Großen gewesen zu sein, hat irgendwie Spaß gemacht – aber es wird wohl bei dem einen Mal sein, denn mir ist klar geworden: ich kann jederzeit (m)einen persönlichen Halbmarathon laufen – denn schließlich geht es mehr um ungezwungene Freude als um selbstauferlegte Besessenheit!

Normalität in der Schwebe

Stück für Stück werden wir wieder in die Normalität zurückgelassen – in die „neue Normalität“, wie es so schön heißt bzw. in eine Normalität, die dennoch weiterhin in der Schwebe balanciert so wie ich, wenn ich im standing split – mit beiden Händen am Knöcheln, den Blick zum Boden gerichtet, auf einem Bein stehend – versuche, eine möglichst gute Figur zu machen und nicht umzukippen.
Seit heute dürfen alle Kinder wieder in ihre Schulen zurückkehren, seit heute fahren alle Öffis wieder in ihren normalen Intervallen, die Parksheriffs dürfen bereits seit einigen Tagen wieder Liebesbriefe an die Windschutzscheibe heften. Seit Anfang Mai dürfen wir wieder Kontakt-mit-Abstand mit Familie und Freunden aufnehmen. Und in Deutschland wird seit Samstag wieder Bundesliga gespielt – allerdings neu als Geisterfußball ohne Spuckerei und ohne Liebkosungen beim gelungenen Treffer ins gegnerische Tor. Wir können wieder analog shoppen gehen – es stellt sich hierbei für mich aber die Frage, ob ich fürs homeoffice tatsächlich neue Klamotten brauche?

Und dann ein, zwei Lockerungen mit geschichtsträchtig-untermauerter Bedeutung. Am 15. Mai vor 65 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet. Am 15. Mai in diesem Covid-19-Jahr konnten die Gastronomen bei eiskaltem Anti-Schanigarten-Wetter endlich wieder ihre Lokale öffnen. Seit diesem Tag dürfen auch wieder Gottesdienste abgehalten werden. Aber alles in allem weit entfernt von dem, was wir als „normal“ bezeichnen würden! Viel mehr die Wahrnehmung des „Besonderen“ und nicht mehr so „Selbstverständlichen“!

Wir waren am Samstag in der Wachau und sind rund um Dürnstein bei einem teilweise recht abenteuerlichen Rundwanderweg ordentlich ins Schwitzen gekommen. Welch glückliche Fügung, dass wir auf dem Rückweg zum Auto bei einem Weinbauern / Heurigen vorbeikamen! Alle Bänke in lockerer Besetzung, kein Gast mit MNS, nur das Personal mit dem Schutz vor Nase und Mund. Für uns ein freies Bankerl an der sonnenbeschienenen Hausmauer – und soll ich was sagen? Auch wenn daheim das Gläschen Prosecco auf der Terrasse mundet: ein „fremd-servierter“ frischer großer Sommerspritzer, dazu ein üppig belegtes Käsebrot: das hat schon was für sich! Wir wussten diese neue Selbstverständlichkeit sehr zu schätzen!

Und dann der erste Live-Gottesdienst seit dem Beginn der Fastenzeit! Mir kam die Aufgabe zu, die Gläubigen vor dem Betreten der kleinen Kirche in unserer Nachbarschaft nach ihrer Anmeldung für die Messe zu befragen, da bezogen auf die Fläche des Kirchenraums leider nur eine begrenzte Anzahl an Personen gleichzeitig anwesend sein darf. Unser Pfarrvikar meinte dann in der Messe, dass dies „früher einmal“ sogar ein richtiger Kirchenjob gewesen ist (leider habe ich die Bezeichnung nicht behalten). Was spürbar war: zum einen – insbesondere für die älteren Menschen – die große Erleichterung, das Ritual des Kirchgangs wieder aufnehmen zu können – und damit auch den Kontakt mit Bekannten aus der Kirchengemeinde pflegen zu können; zum anderen aber auch große Verunsicherung: „Muss ich mich jetzt jedes Mal vorher anmelden, wenn ich die Sonntagsmesse besuchen möchte?“ Auch der Ablauf des Gottesdienstes reduziert – weniger Gesang, nur eine Lesung, die Predigt kürzer, am Altar mehr Selfservice als Ministranten-Unterstützung. Aber auch hier: Balsam für die Seele!

Zwei kleine Beispiele, die bewusst machen sollen, wie wichtig es ist, das, was in der ante-corona-Zeit (a.c.) als so alltäglich-selbstverständlich hingenommen wurde, jetzt in der inter-corona-Zeit (i.c.) als nicht alltägliches Geschenk anzusehen!

Großes Lob an die Au!

Jetzt lebe ich seit gut 25 Jahren in Wien und habe bislang einen großen Bogen um das Naturschutzgebiet im Norden Wiens – der Lobau – gemacht. Warum? Wegen der Gelsen-Invasion im Sommer? In der Annahme, dass es dort langweilig sein könnte? Weil die Au „dort drüben“, also in „Transdanubien“ liegt?

Offenbar brauchte es COVID-19 und damit verbunden den Wunsch nach einem gemeinsamen Wiedersehen mit Bodo´s Töchtern, dass wir dann doch hier gelandet sind – sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, wenn die eine Tochter nördlich von Wien wohnt, die andere östlich und wir beide südlich vom Herzen Wiens. Am ersten Mai-Sonntag, am ersten Tag der „Lockerung“, stapften wir daher dann zu viert mit zwei kleinen Hunden mal mit dem Wind, mal gegen den Wind, mal durch Steppe, mal durch Dschungel – und waren sehr überrascht! Angenehm überrascht. So überrascht, dass Bodo und ich gestern am frühen Muttertagssonntag wieder hinfuhren – in knapp einer Viertelstunde von dichter Stadtbebauung in eine unendlich scheinende, weitestgehend unberührte Natur – Wahnsinn! Was für ein Geschenk an uns Städter!

Bodo mit dem Fotoapparat auf der Lauer – die ersten Seerosen, Frösche, Libellen, ein Vogel auf einem Schilfhalm und gar ein Fischotter beim Spielen im Schilf!

Ich dagegen ziemlich spontan mit der akustischen Aufnahmefunktion am Handy „bewaffnet“ – selten habe ich derart laute, kräftige „Balzquaks“ von Fröschen mit aufgeblähten Wangen oder ein derart schelmisch-heimtückisches Flöten eines Kuckucks vernommen!

Drei Stunden lang waren wir bedächtig, beschwingt und neugierig-aufgeschlossen unterwegs, haben dabei sogar kleine Badeplätze entdeckt und über riesenhafte Birken gestaunt – und festgestellt, dass die beste Zeit für die Lobau der frühe Morgen ist, denn spätestens ab 10 Uhr ist an einem Wochenende eindeutig zu viel „Volk“ unterwegs: Spaziergänger, Läufer und Fahrradfahrer – so weitläufig ist die Au dann offenbar doch nicht, als dass man sich aus dem Weg gehen könnte!

Aber jetzt, da wir wissen, dass dieses kleine naturgewaltige Paradies in knapp einer halben Stunde zu erreichen ist, sind wir uns sicher, dass wir öfters hierher zum Luftholen kommen werden – zumindest um diese Jahreszeit und bevor die Gelsen schlüpfen!

Daher gebührt mein heutiges Lob zweifelsohne der Au – der Lobau!

Öfter mal nach oben schauen!

Habt Ihr in den letzten Tagen / Wochen mal bewusst den Kopf in den Nacken gelegt und zum Himmel hinaufgeblickt? Auffällig: keine Flugbewegungen, mit Ausnahme von Tauben, Krähen, Falken und Schwalben – keine Flugzeuge, die über uns hin und her flitzen und mit ihren Kondensstreifen weiße Kritzi-Kratzi-Linien zeichnen.

So „Fetz-Blau“ der Himmel über uns, wie man es sonst nur von Reiseprospekten kennt.

So „Fetz-Blau“ der Himmel über uns, dass man nicht mehr das Gefühl hat, in einer Großstadt zu leben.

So „Fetz-Blau“ der Himmel über uns, dass nicht nur ich, sondern sogar Bodo einen mutigen Kopfstand wagt und seine Füße in dieses verlockende Tiefseeblau eintaucht – Wieso war ich eigentlich immer der Meinung, dass Bodo kein Yoga macht?!

rbt

Stil(l)Blüte

Wer kann dieses unbekannte Gedicht nicht auswendig herunterleiern:

Dunkel war’s, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzesschnelle,
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft, …

Ganz diesem Schema von sich selbst widersprechenden Sätzen folgend entstand aus einer übermütigen Zubettgeh-Aktion folgendes Zitat:

„Und einem Erdbeben gleich glitt er sanft ins Bett.“

… der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!