Halbmarathon virtuell

2020 wird es so gut wie keine Volksläufe geben – die Wien Marathon konnte nicht stattfinden, und auch der für den Herbst 2020 erhoffte Österreichische Frauenlauf wurde gestern offiziell zu Grabe getragen. Auch international wagt sich heuer keiner an ein Event dieser Größenordnung!

Laufen kann man aber doch auch sehr gut alleine – keine Frage, aber so mancher Läufer / so manche Läuferin braucht dann doch den Nervenkitzel, den ein Wettbewerb unweigerlich mit sich bringt.

Not macht im wahrsten Sinne und tatsächlich erfinderisch: Österreich läuft / walkt / geht – gemeinsam – einsam – einfach VIRTUELL!

Freie Zeiteinteilung an den Tagen 15. bis 17. Mai.

Freie Streckeneinteilung, nur ehrliche 5 km, 10 km, 15 km oder 21,1 km sollen es sein!

Geringe Startgebühr, je nachdem, ob man auf Startnummer, Medaille, Urkunde und Goodiebag steht.

Ihr dürft dreimal raten, wer unter den knapp 3.200 Läufer*innen österreichweit auch dabei war … natürlich: ICH!
Und für welche Strecke habe ich mich entschieden? … natürlich: die Halbmarathon-Distanz!

Am Freitag gab es morgens leider so viel Regen, dass ich meinen „Start“ auf Samstag früh verschieben musste. Um 04:50 war ich bereits putzmunter und mega-motiviert. Am Vortag hatte ich mich noch für den Prater als „Laufplatz“ entschieden – zum einen, weil der Prater einfach prädestiniert ist für Langstreckenläufe, zum anderen, weil´s dort einfach natürlicher ist als am Donaukanal entlang. Zur Feier des Tages habe ich mir dann noch eine Lauf-App heruntergeladen bzw. auf meiner Laufuhr, die Zeit- und Streckenmessung aktiviert – Dinge, die ich sonst nie benutze, weil ich einfach laufe, weil ich laufen will und dazu weder motivierende Computerstimmen noch sklavisches Erreichen von Einzel-Zielen brauche!

Auf los ging´s los – in einem normalen, gemütlichen Trab, keine Wettbewerbsgeschwindigkeit, dafür vollkommene mentale Gelassenheit, auch dann noch, als ich die Prater Hauptallee das zweite Mal in voller Länge lief. Kaum andere Läufer*innen um diese Uhrzeit, und wenn ja, nur verstreut – der Prater gehörte de facto mir allein! Die Morgenluft frisch und rein, der Durst gering, von Schwächeeinbruch keine Rede – bis zum Schluss! Herrlich!

Die Endzeit natürlich deutlich entfernt von meinen bisherigen Wettbewerbsergebnissen – was soll´s!-, dafür waren es ein paar Kilometer mehr als die geforderten 21,1 km. Ich brauche keine Urkunde, keine Medaille – virtuell ein Teil vom Großen gewesen zu sein, hat irgendwie Spaß gemacht – aber es wird wohl bei dem einen Mal sein, denn mir ist klar geworden: ich kann jederzeit (m)einen persönlichen Halbmarathon laufen – denn schließlich geht es mehr um ungezwungene Freude als um selbstauferlegte Besessenheit!

Normalität in der Schwebe

Stück für Stück werden wir wieder in die Normalität zurückgelassen – in die „neue Normalität“, wie es so schön heißt bzw. in eine Normalität, die dennoch weiterhin in der Schwebe balanciert so wie ich, wenn ich im standing split – mit beiden Händen am Knöcheln, den Blick zum Boden gerichtet, auf einem Bein stehend – versuche, eine möglichst gute Figur zu machen und nicht umzukippen.
Seit heute dürfen alle Kinder wieder in ihre Schulen zurückkehren, seit heute fahren alle Öffis wieder in ihren normalen Intervallen, die Parksheriffs dürfen bereits seit einigen Tagen wieder Liebesbriefe an die Windschutzscheibe heften. Seit Anfang Mai dürfen wir wieder Kontakt-mit-Abstand mit Familie und Freunden aufnehmen. Und in Deutschland wird seit Samstag wieder Bundesliga gespielt – allerdings neu als Geisterfußball ohne Spuckerei und ohne Liebkosungen beim gelungenen Treffer ins gegnerische Tor. Wir können wieder analog shoppen gehen – es stellt sich hierbei für mich aber die Frage, ob ich fürs homeoffice tatsächlich neue Klamotten brauche?

Und dann ein, zwei Lockerungen mit geschichtsträchtig-untermauerter Bedeutung. Am 15. Mai vor 65 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet. Am 15. Mai in diesem Covid-19-Jahr konnten die Gastronomen bei eiskaltem Anti-Schanigarten-Wetter endlich wieder ihre Lokale öffnen. Seit diesem Tag dürfen auch wieder Gottesdienste abgehalten werden. Aber alles in allem weit entfernt von dem, was wir als „normal“ bezeichnen würden! Viel mehr die Wahrnehmung des „Besonderen“ und nicht mehr so „Selbstverständlichen“!

Wir waren am Samstag in der Wachau und sind rund um Dürnstein bei einem teilweise recht abenteuerlichen Rundwanderweg ordentlich ins Schwitzen gekommen. Welch glückliche Fügung, dass wir auf dem Rückweg zum Auto bei einem Weinbauern / Heurigen vorbeikamen! Alle Bänke in lockerer Besetzung, kein Gast mit MNS, nur das Personal mit dem Schutz vor Nase und Mund. Für uns ein freies Bankerl an der sonnenbeschienenen Hausmauer – und soll ich was sagen? Auch wenn daheim das Gläschen Prosecco auf der Terrasse mundet: ein „fremd-servierter“ frischer großer Sommerspritzer, dazu ein üppig belegtes Käsebrot: das hat schon was für sich! Wir wussten diese neue Selbstverständlichkeit sehr zu schätzen!

Und dann der erste Live-Gottesdienst seit dem Beginn der Fastenzeit! Mir kam die Aufgabe zu, die Gläubigen vor dem Betreten der kleinen Kirche in unserer Nachbarschaft nach ihrer Anmeldung für die Messe zu befragen, da bezogen auf die Fläche des Kirchenraums leider nur eine begrenzte Anzahl an Personen gleichzeitig anwesend sein darf. Unser Pfarrvikar meinte dann in der Messe, dass dies „früher einmal“ sogar ein richtiger Kirchenjob gewesen ist (leider habe ich die Bezeichnung nicht behalten). Was spürbar war: zum einen – insbesondere für die älteren Menschen – die große Erleichterung, das Ritual des Kirchgangs wieder aufnehmen zu können – und damit auch den Kontakt mit Bekannten aus der Kirchengemeinde pflegen zu können; zum anderen aber auch große Verunsicherung: „Muss ich mich jetzt jedes Mal vorher anmelden, wenn ich die Sonntagsmesse besuchen möchte?“ Auch der Ablauf des Gottesdienstes reduziert – weniger Gesang, nur eine Lesung, die Predigt kürzer, am Altar mehr Selfservice als Ministranten-Unterstützung. Aber auch hier: Balsam für die Seele!

Zwei kleine Beispiele, die bewusst machen sollen, wie wichtig es ist, das, was in der ante-corona-Zeit (a.c.) als so alltäglich-selbstverständlich hingenommen wurde, jetzt in der inter-corona-Zeit (i.c.) als nicht alltägliches Geschenk anzusehen!