In der Auslage sitzen

Wien Mitte war früher der Ort, wo der Balkan begann. Das war zu einer Zeit, als der Anknüpfpunkt zum Wiener Flughafen mit dem CAT eine Mega-Baustelle war, als das neu entstehende Gebäude – the Mall – gefährlich nahe dem U-Bahnschacht kam und einige Sachverständige und Statiker nervös die Eisen begutachteten, zu einer Zeit, als der Ort schlechthin eine Schande für Wien war, vergammelt und versandelt – und das auf der Rückseite des Hilton Hotels am Stadtpark und der Steffl zum Greifen nahe. Mittlerweile hat es sich so gut wie ausgebaustellt, in die Mall sind altbekannte Geschäftsketten eingezogen darunter ein Mini-Supermarkt, der auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet hat, wo es aber so eng ist, dass man nur so viel einkaufen kann, wie man selbst zu tragen vermag. Und am Eck zum Platz, da gibt es die Spar-Snack-Bar, die wir vor kurzem für uns entdeckt haben, denn das Glas – sehr guten – Proseccos kostet dort nur € 3,– (100 Meter weiter in unserem eigentlichen Stammlokal € 4,50 und beim Bäcker, der zum Feierabend mit Brot und Wein lockt, gibt es gar keinen italienischen Sprudel), wird in anständig bauchigen Weingläsern serviert – bei den schmalen Sektflöten weiß meine nicht mal so groß geratene Nase nie, wohin sie sich biegen soll, und außerdem muss man den Kopf unangenehm weit in den Nacken legen -, es gibt knusprige Toast mit allerlei Füllung (mein Favorit ist der Pariser Toast mit Brie und Ruccola) und, wie gestern erst entdeckt, die superschön antik anmutend verpackten dickbäuchigen Mandelkekse, die so intensiv nach Amaretto und Marzipan schmecken … mmmh! Hinter der Theke werden Pasta und Salat frisch zubereitet. Die Einrichtung ist schlicht mit Hochtischen und Barhockern, wohl überlegt, weil hier meistens nur auf die Schnelle gegessen wird. Wer schon mal länger auf einem Barhocker gesessen ist, versteht mich: es ist für die Beine nicht allzu angenehm, auch wenn man die Füße an der Reling einhaken kann. Daher wird man hier nicht so lange sitzen bleiben, wie in einem tiefen Fauteuil oder einem weichen Lederstuhl. Interessant sind die schmalen Tische entlang der Glasfassade: hier sitzt man nebeneinander, was die Kommunikation etwas erschwert oder allein – ein wohl durchdachter Schachzug in einer Zeit, da sehr viele Singles unterwegs sind bzw. Menschen, die einfach in Ruhe (gut) essen/trinken und die eigentlich mit niemandem reden wollen (!?).  In der Mittagspause zum Beispiel kann ich mir schon gut vorstellen, dass man bewusst in Ruhe gelassen werden will. Trotzdem ist man nicht vollkommen isoliert, denn hier an diesem Eck hat man zwar den ganzen Trubel, der da draußen vor den U- und S-Bahnabgängen herrscht, im wahrsten Sinne des Wortes ausgesperrt, ist aber in irgendeiner Form doch Teil des Ganzen. Sofern man sich nicht gerade in einer Zeitung vergräbt oder in irgendwelchen Apps, schaut man unweigerlich auch ab und dann hinaus und fängt den einen oder anderen Augenblick eines Fremden auf – hier in der Auslage sitzend sozusagen, man ist nicht allein, findet Ablenkung, kann sich auch mal amüsieren, wundern oder schrecken über die Gestalten da draußen in ihrer Hektik, mit all ihren Sorgen und Ängsten und Freuden. Die Snackbar wird zum Hort der Geborgenheit und des Beobachtens. Vice versa ist es aber eher unwahrscheinlich, dass man beim Essen/Trinken beobachtet wird, denn nur der wird sehen und erkennen, der innehält mit seinem Schritt.

Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich ein recht gutes Bauchgefühl für Raumatmosphären habe, nennt es Fengshui oder Shengfui oder einfach einen primitiven Hausverstand oder elegant ausgedrückt „Raum-Yoga“ (Achtung! Das ist MEINE Erfindung!). Diese Snackbar ist so ein kleiner, fast unscheinbarer Hort. Auch die Bedienung trägt dazu bei, dass man sich für eine Weile ganz wohl fühlt: freundlich, aber nicht aufdringlich. Wer sich die Architektur genauer anschaut, wird entdecken, dass gar nicht viel Bahö-Baha gemacht wird: dunkler Holzboden, schlicht geölt, eine schwarze Rückwand als Tafel ausgebildet, einfache Tische mit beige-glänzenden Sets, ein bisschen dezentes (echtes) Grün und der asiatische Sumo-Koch, der die rohen Nudeln ins heiße Wasser gibt – ach so, der Koch ist ja nicht gebaute Architektur, wirkt aber wie ein Fels in der Brandung.

Genug geschwärmt! Macht Euch selbst ein Bild oder nehmt meine Zeilen als Ansporn, Eure eigene Auslage zu finden. Entdeckt, was Ihr draußen zu sehen bekommt und findet heraus, wie Ihr Euch selbst fühlt – das ist „Raum-Yoga“ – kapiert?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert