Danke fürs Nicht-Hilfe-Anbieten

Manchmal wundere ich mich schon sehr über das Verhalten meiner Mitmenschen!

Die Vorweihnachtszeit ist neben der alljährlichen fröhlichen Endzeitstimmung, dem Hektik-Virus und der Shopping-Epidemie davon geprägt, dass an jeder Ecke und in jeder Kurve an die Herzensgüte appelliert wird, an einen Funken Nächstenliebe und an eine locker sitzende Spendierhose – warum sich hier natürlich schon auch die Frage stellt, warum dies nur in dieser eher grau-dunklen Zeit so frappierend auffällig ist.

Um nicht wieder abzuschweifen …

Seit diesem Sommer arbeite ich ja wieder in einem größeren Konzern, der in seinem Kerngeschäft „in Geld macht“. Rund 5.000 Menschen arbeiten in einem Gebäudekomplex, den ich lange vor der ersten Baggerschaufel lieb gewonnen habe, und der nach drei Jahren der „Inbesitznahme“ noch immer eine eigene Faszination auf mich ausübt.

Um nicht wieder abzuschweifen …

In dieser meiner neuen Arbeitswelt werden die Mitarbeiter bereits seit einigen Wochen via Intranet und diversen analogen Aushängen zur Teilnahme an unterschiedlichen caritativen Events eingeladen: Charity-Punsch mit den Vorständen in der Punschhütte, Spenden-Dinner für ein Dorf in Indien, Spendenkonto für das Ö3-Weihnachtswunder, Aktion „Tafel Wien“, Sammelstelle für Winterkleidung, … bis hin zum Care-Paket für bedürftige Familien in Rumänien: Öl, Mehl, Zucker, Reis, Nudeln, Kekse, Multivitamintabletten, eine Kleinigkeit für Kinder, … die Packliste genau vorgegeben, die Termine für die Ausgabe der leeren Kartons bzw. die Abgabe der befüllten Kartons gut organisiert.

Mein Karton, fertig befüllt, gut zugeklebt und recht schwer – ca. 12 kg! Eine Kollegin bat mich, ihren Karton mit zur Abgabe zu bringen, da sie an diesem Tag verhindert war.

Kein Problem – das schaffe ich schon!

Ein Karton in den Armen, den anderen mit sanften Fußtritten weiterbefördernd, machte ich mich auf den Weg vom 2. Obergeschoss hinunter ins Erdgeschoss.

Kein Problem – das schaffe ich schon!

Bei der ersten Barriere, der Zutrittstüre zu meiner „Homebase“, wusste ich dann, dass es doch nicht so einfach werden würde. Da kam aber gerade eine Mitarbeiterin aus meinem Stockwerk, hielt mir die Türe auf und fragte auch sofort, ob sie mir helfen könne. War es aus Stolz, Ehrgeiz oder Trotz? Ich sagte jedenfalls: Danke, nicht nötig …

Kein Problem – ich schaffe das schon!

Weiter bis zur Türe, die in die Aufzugslobby führt. Dort: keine tür-aufhaltende Hand. Also musste ich den einen Karton kurz stehen lassen, die Türe öffnen und aufhalten und den zweiten Karton nachreichen. Vor einem der Aufzüge wartete eine Frau auf den Lift. Sie schaute mich ziemlich eigenartig an, in einer Mischung aus genervt, ablehnend und jedenfalls so ganz ohne irgendeine Regung in Richtung Hilfsbereitschaft. Ihr Blick wurde sogar richtig böse, als ich die Aufzugstüre mit einem der Kartons für einen kurzen Moment blockieren musste, um mit dem zweiten nachzukommen. Eisiges Schweigen auf der Fahrt ins Erdgeschoss. Dort dann ganz ähnliches Verhalten: die Personen, die in den Aufzug einsteigen wollten, fühlten sich durch mich und die beiden Kartons in ihrem morgendlichen „Ich-muss-zur-Arbeit-Dilemma“ gestört und aus ihrer Routine gerissen. Kein einziges Mal: „Kann ich Ihnen helfen?“ –

Kein Problem – ich schaffe das schon!

Noch ein einziges, aber wohl das größte Hindernis: die Zutrittskontrolle, eine sogenannte Vereinzelungsschleuse; dh: Man kommt nur durch die Glasschwingtürchen, wenn man einen Konzernausweis hat. Und damit verhindert wird, dass eine zweite Person ohne Ausweis unerlaubt hindurchschlüpfen kann, geht das Öffnen-Schließen an sich sehr rasch. Hinaus kommt man immer, auch ohne Ausweis. Allerdings – und das ist das Manko in der Früh und zu Mittag, wenn die meisten Mitarbeiter im Haus unterwegs sind und nicht an ihrem Schreibtisch: Man muss kurz warten, bis man selbst dran ist … und auch mal so nett sein und einen rauslassen! Mich ließ keiner raus! Ich musste warten, bis der Strom an arbeitswütigen „Kolleg-I-nnen“ für einem Moment nachließ und mich endlich mit den beiden Kartons durchzwängen konnte. Von dort war es dann beinahe ein barrierefreies Kinderspiel, zur Abgabestelle zu kommen.

Ich habe es geschafft!

… Und ich möchte mich bei allen bedanken, die mir auf dieser Reise mit rund 25 kg Ballast KEINE Hilfe angeboten haben!

Meine Erfahrung aus diesen 15 Minuten? Ich bin zufrieden mit mir, dass durch meine einfache Spende einer armen Familie in Rumänien, die ich nie kennenlernen werde, für einen überschaubaren Zeitraum geholfen werden kann. Allerdings bin ich doch auch sehr darüber enttäuscht, dass es lediglich ein paar Menschen brauchte (die sich zudem mit mir einen Arbeitgeber teilen und mit mir unter einem Dach „leben“), um die Realität zu erkennen: Nächstenliebe heute endet bei vielen leider an der eigenen Epidermis!

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