Kippt hier was?

Bei der letzten Kleidertauschparty, die ich besucht habe, sind nicht nur ein paar mit Prosecco gefüllte Sekt-/Weingläser, die in Ermangelung an Beistelltischchen am Boden abgestellt worden sind, von sperrigen Koffern und prall gefüllten IKEA-Säcken umgestoßen worden, sondern es ist zumindest meine Stimmung etwas gekippt, als unsere Gastgeberin berichtet hat, wie mühsam es geworden ist, weggelegte Kleidungsstücke bei einem 2nd-Hand-Laden oder einem gemeinnützigen Verein abzugeben: Die Lager sind voll, übervoll – kein Platz mehr für Unterwäsche, Strümpfe, Socken. Schmuck und Kleiderbügel werden strikt abgelehnt.

Man sollte meinen, dieser düstere Aspekt hätte uns knapp 15 Damen dazu animiert, kräftiger zuzugreifen und öfters „Ich“ zu rufen. Doch eher das Gegenteil war der Fall!

Links von mir und rechts von mir (und in mir drinnen) wurde geflüstert: „Ich will heute eigentlich nur meine Sachen loswerden und nichts mitnehmen!“ Eine von uns hatte den Output aus ihrer professionell unterstützten Kleiderschrank-Aussortier-Aktion dabei – eigentlich gute Teile, doch niemand zeigte Interesse an den zahlreichen weißen Sommerhosen. Und auch die eine „Neue“, die noch nie dabei war, schaute ein wenig ungläubig, als niemand ihre dicke Kuscheljacke haben wollte.

Es gilt jetzt abzuwägen: Macht es mehr Sinn, die Runde an Teilnehmerinnen kleiner zu halten, damit der Kleidertausch in seiner ursprünglichen Idee lauschiger, entspannter und achtsamer vonstatten gehen kann oder sollten es gut 10 Damen mehr sein, damit sich die Vielfalt an Charakteren erhöht und damit auch die Chance, dass die aussortierten Textilien (es muss sich auch nicht immer um ein Naturfaserprodukt handeln … das war Running-Gag des Abends: die liebe K. pries jedes ihrer Kleider, Shirt etc. mit dem Zusatz „aus reiner Naturfaser“ an) eine neue Trägerin finden und nicht auf dem „Endzeit-Haufen“ landen? Aber je mehr Leute, umso turbulenter und lauter wird es, umso länger dauert dann der Tauschabend und damit steigt auch das Risiko der Übermüdung und des Keine-Lust-mehr-Habens …

Eine spontane Idee von mir, die möglicherweise mehr Vorbereitung und mehr Disziplin der Teilnehmerinnen abverlangt, aber das Tauschen unter Umständen für alle effizienter macht:

# Sachen, die man eintauschen will, werden vorab fotografiert.

# Die Fotos werden in einem Shareroom, den nur die angemeldeten Personen teilen können, hochgeladen.

# Wer Interesse an einem Teil hat, kann sich dieses per Anhaken schon mal reservieren.

# Damit weiß dann auch jede Alt-Besitzerin, ob es überhaupt Sinn macht, das eine Teil mitzunehmen oder nicht.

# Das Auspacken vor Ort könnte dann wieder mit mehr Theatralik verbunden werden, um die Spannung zu steigern.

Ich vermisse die Geschichten, die früher immer erzählt wurden, wie: „Dieses Kleid habe ich getragen, als ich mit meinem damaligen Freund Schluss gemacht habe“ oder „Diese Hose ist im Laufe der Jahre einfach immer kleiner geworden!“ oder „Als ich diesen Mantel gekauft habe, war ich wohl kurzfristig erblindet!“ …

# Und auf jeden Fall: Was nicht wegkommt, muss wieder selbst mitgenommen werden! Der nächste Kleidertausch kommt bestimmt!

Der Vorteil, wenn man nur regelmäßig unregelmäßig am Kleidertausch teilnimmt, ist, dass man Veränderungen besser wahrnehmen kann, als wenn man bei jedem Tauschabend dabei ist. Mir geht es jedenfalls so – daher auch mein Eindruck, dass die ursprüngliche Idee, einem Kleidungsstück ein möglichst langes und spannendes Leben zu gewähren, momentan ins Kippen gerät. Wie bei einem Glas, dass irrtümlich angestoßen wird und zu Bruch zu gehen droht, heißt es jetzt: schnell reagieren, schnell zugreifen, Glasscherben verhindern und den kostbaren Inhalt schützen!!!